Woran glaube ich? Die meisten Menschen halten das für eine religiöse Frage. Dabei stellt Nietzsche ganz richtig fest, dass all unsere Entscheidungen, selbst das fatalistische „Ergeben“ in unser Schicksal, auf einem Glaubenssatz basieren. (In diesem Fall der Glaube, wir dürften es einfach laufen lassen und es würde uns irgendwie schon zum Ziel führen). Oft sind wir uns überhaupt nicht bewusst, was wir eigentlich glauben.

Unsere Handlungen, nicht unsere Worte, verraten, woran wir glauben. Wer jeden Tag ins Büro geht, seine Stunden (oder Überstunden) leistet und dann eine Midlife-Crisis oder Renten-Depression bekommt, verrät dadurch, woran er oder sie unbewusst geglaubt hat: Dass das tägliche Zur-Arbeit-Gehen einem höheren Zweck dient, der sich irgendwann erfüllen wird. Erfüllung, Bedeutung, das Gefühl, „es geschafft“ zu haben – insgesamt hat der Arbeitende daran geglaubt, dass sich irgendwann eine transzendentale Belohnung einstellt.

Aber wer hat sie ihm versprochen? Die Kirche, die Eltern, der Staat? Ich bezweifle, dass irgendjemand von uns in der Kindheit oder Jugend von Erwachsenen den Satz gehört hat: „Geh nur ruhig dein ganzes Leben lang zur Arbeit, dann wirst du glücklich und erfüllt sein, du wirst schon sehen.“ Woher kommt dann dieser Glaube?

Woher kommt unser Glaube?

Historisch könnte man sagen, das Heilsversprechen der Arbeit kommt aus der protestantischen Arbeitsethik. Schon Luther schrieb, das jeder ruhig und fleißig dort arbeiten soll, wo Gott ihn oder sie hingesetzt hat. Aber hat einer von Ihnen Luther gelesen, oder würde sich als streng gläubig protestantisch bezeichnen? Und trotzdem leben die meisten von uns diesen Glaubenssatz – durch unsere Taten und das „Opfer“ unserer Lebenszeit.

Warum? Vielleicht haben wir schon einmal über die Frage nachgedacht und uns viel einfach keine bessere Alternative ein, als ein arbeitszentrierter Leben zu führen. Oder wir verdrängen diese unbequeme Frage mit Aktivität, Ablenkung oder Alkohol in unser Unbewusstes. In schlaflosen Nächten, wenn wir uns spät abends herumwälzen, holt sie uns dann wieder ein.

Ich glaube, dass viele von uns davon profitieren können, wenn wir uns bewusst machen was wir glauben – nicht in Worten und Bekenntnissen, sondern durch unsere Taten. Dazu sei gesagt: Dies ist kein Aufruf zum Ausstieg aus dem Arbeitsalltag, zum toxischen Selbstoptimierungs-Stress, zum Sich-nie-zufrieden-geben oder dazu, immer von der Frage getrieben zu werden, ob es nicht irgendwie noch besser geht.

Vielmehr geht es darum, nach Warnzeichen zu suchen, die uns verraten können, dass die Glaubenssätze, die wir durch Taten ausleben, eigentlich nicht zu unseren tiefsten Bedürfnissen passen. Erneut mit Nietzsche gesprochen: „Man findet erst spät den Mut zu dem, was man eigentlich schon weiß.“ Die Arbeit dient uns hier als Beispiel, da so gut wieder jeder diesen Fall aus persönlicher Erfahrung kennt. Außerdem stellt sie für uns oft den zeitlichen und energetischen „Hauptblock“ in unserem Leben dar. Und ausgerechnet sie verbringen wir oft mit etwas, das wir eigentlich nicht wollen.

Die richtigen Fragen stellen

Woran glauben Sie? Ich meine nicht die Antwort, die Sie geben, wenn Sie jemand auf einer Party oder im Café danach fragt und Sie die Antwort danach zusammenbauen, was Ihr Gegenüber hören will. Ich meine: Woran glauben Sie in Ihren Taten? Nicht einmal in den großen, außergewöhnlichen – in den alltäglichen, die Sie Tag für Tag wiederholen.

Scrollen Sie stundenlang auf Ihrem Handy herum? Vielleicht leben Sie damit den Glaubenssatz aus, dass Sie, wenn Sie sich nur lange genug von Ihrem Schmerz ablenken, irgendwann von selbst in einem zufriedeneren, gelasseneren Zusand kommen. Sie wissen zwar aus Erfahrung, dass es nicht funktioniert – aber solange sie den Glaubenssatz nicht ans Licht bringen und hinterfragen, reicht Ihr Halb-Glauben, um ihn weiter auszuleben.

Opfern Sie sich für andere auf? Dann glauben Sie vielleicht unbewusst oder sogar bewusst, irgendwann würden Ihnen Gott, das Universum oder die Menschen endlich Ihre Mühen anerkennen, vergüten und heimzahlen. Und vielleicht haben Sie Recht! Aber vielleicht auch nicht – und könnten Sie damit leben, wenn sich die unbewusst erhoffte, ja sogar erwartete Belohnung niemals einstellt? Oder laufen Sie Gefahr, imaginäre Schätze für später anzusammeln und damit wie der Drache aus der Mythologie zu werden?

Wie spüre ich meine Glaubenssätze auf?

Eine hilfreiche Methode, um unsere geheimen Glaubenssätze aufzudenken, besteht darin, sich zu fragen: Wo empfinde ich (offen oder verborgen) Ressentiment, also Verbitterung, Wut oder sogar Hass, wenn sich bestimmte Ergebnisse nie einstellen?

Gegenüber meinem Chef, weil er nicht sieht, wie hart ich arbeite? Dann glauben Sie womöglich zu unrecht, dass er es sieht, und müssen ihn einmal offen darauf hinweisen. Gegen meinen Partner oder meine Partnerin, weil er oder sie meine Bedürfnisse regelmäßig „vernachlässigt“? Dann glauben Sie womöglich, dass der andere Sie und Ihre Wünsche besser kennt, als er es tut – auch hier hilft ein direktes Gespräch.

Gegen Ihre Kinder oder Eltern, weil sie Ihnen nie die Zuwendung und Anerkennung zeigen, die Sie meinen, verdient zu haben? Dann glauben Sie möglicherweise, dass es fair und normal ist, ein „Schattenkonto“ über Guthaben und Schuldigkeiten anderer in Ihrem Kopf zu führen, und dass andere den Kontostand ebenfalls einsehen können oder ahnen sollten – was aber nicht der Fall ist.

Gegenüber dem Universum, Gott oder dem Schicksal, weil sie Ihnen bisher nicht gegeben haben, was Sie sich wünschen oder wofür Sie hart gearbeitet haben? Dann glauben Sie wahrscheinlich an eine höhere Ordnung, an ein Gesetz des Karma; daran, dass Ihnen Gutes zusteht – und vielleicht haben Sie recht. Aber vielleicht sehen Sie sich garnicht als gläubig, sondern leben nur unbewusst den Glaubenssatz aus, dass Sie irgendwann bekommen werden, was Ihnen zusteht.

Jenseits von Recht und Unrecht

Es geht an dieser Stelle nicht darum, ob sie „Recht“ oder „Unrecht“ haben: Wie der Kosmos strukturiert ist, ob die Glaubenssätze, die Sie ausleben, rational oder irrational sind – es geht allein darum, herauszufinden, was Sie heimlich glauben. Anschließend können Sie sich die Frage stellen: Überzeugt mich dieser Glaubenssatz? Kann ich ihn wirklich in meiner Tiefe glauben, jetzt, da ich ihn ausgeschrieben vor mir sehe? Oder, wenn Sie utilitaristisch an die Sache herangehen wollen: Hilft er mir und anderen, oder schadet er eher?

Gerade, wenn wir eigentlich wissen, dass der Glaubenssatz, den wir ausleben, nicht gut für uns ist, sollten wir uns mit der unbequemen Frage auseinandersetzen: Bin ich vielleicht einfach nur zu bequem, um ihn zu konfrontieren? Oder, in Nietzsches Worten: „Der Mensch ist ein mittelmäßiger Egoist; auch der Klügste nimmt seine Gewohnheit wichtiger als seinen Vorteil.“

Meine Lebenserfahrung ist, dass wir der Konfrontation mit unseren Glaubenssätzen nicht für immer entgehen können. Spätestens, wenn wir wirklich begreifen dass unsere Lebenszeit in dieser Welt nicht unbegrenzt ist, sind wir gezwungen, zu reflektieren, inwieweit das Ausleben unserer Annahmen uns näher an unsere erhofften Ziele gebracht hat – oder nicht. Daraus können wir harte, aber nützliche Schlussfolgerungen ziehen, wie wahrscheinlich es ist, dass das weitere Ausleben uns in Zukunft näher an unsere Ziele führen wird – oder eben nicht.

Niemand von uns ist davor gefeit, dass uns Schicksal oder Zufall ein schweres Leben zutragen. Aber wir können daran arbeiten, die richtigen Fragen zu stellen und im Rahmen dessen, was wir beeinflussen können, zu verhindern, dass wir unnötig enttäuscht werden und leiden.

Mehr zum Thema gesunde Selbstentwicklung finden Sie in meinen Büchern „Sieg über Narzissmus“ und „Neuanfang nach Narzissmus.“


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